Lesepredigt für den Psalmsonntag, den 5. April 2020
Sehr geehrte Leser,
ich spreche die Predigt heute für den Onlinegottesdienst im Garten, so zu sagen vor der Türe. Zur Zeit dürfen wir uns ja in der Christuskirche nicht versammeln. Wir bleiben draußen! Wir bleiben zu Hause, weil es gut ist für uns und für unsere Mitmenschen.
Auch wenn es uns schwer fällt. Vielleicht geht es Ihnen wir mir, oder wie der Frau Gertrude Schäning. Sehen Sie ihren Beitrag zur Situation der Senioren in Lohmar. Es geht uns nicht gut! Wir sind abgerissen von den Menschen, die zu uns gehören, von unseren Kindern und Enkelkindern und umgekehrt. Kein Besuch, keine Umarmung, keine liebevollen Gesten. Heute nicht und Ostern auch nicht. Dabei sind liebevolle Gesten wichtig, lebensnotwendig. Wir müssen uns was Neues einfallen lassen?! Woran sollen wir uns orientieren?
Gibt es Gesten der Liebe gegen alle Vernunft und Zweckmäßigkeit. Eine „Geste verschwenderischer Liebe“, die genau die Fragen, Klagen und Gedanken abbildet, die in diesen Tagen uns, unser Land und die ganze Welt bewegen? Werde ich mich anstecken? Und wenn ja, wie wird bei mir der Krankheitsverlauf sein?
Wird es mir ergehen wie den Menschen auf den Intensivstationen in Bergamo, in Madrid oder in New York, wo vorne in der Ambulanz die Patienten eingeliefert werden und im Hinterhof schon die Gabelstapler warten, die die Leichen der Verstorbenen zum Kühllaster bringen? Denken Sie nicht: „Ich bin ja noch jung, habe weder Vorerkrankungen noch bin ich alt.“
Wir wissen ja mittlerweile, dass auch Kinder und Jugendliche nicht vor einem schweren Verlauf der Infizierung mit dem Coronavirus gefeit sind. Wenn Sie zu den Mutigen gehören, die der Angst um ihr eigenes Leben nicht die Regie überlassen wollen, dann kennen Sie vielleicht doch die Sorge um andere Menschen: Wie wird es meiner Mutter im Altenpflegeheim ergehen? Kommen meine Eltern alleine zurecht, jetzt wo sie eigentlich auch nicht mehr einkaufen gehen sollen? Wie kann ich Kontakt aufnehmen, mit Menschen, zu denen ich im Moment nicht hingehen darf? Wir soll ich das aushalten, wenn ich einen geliebten Menschen nicht mal bei seinem Sterben mit meiner liebevollen Gegenwart begleiten darf? Ich denke an meine Verwandten, die ein Restaurant betreiben. Geschlossen. Kein Umsatz für wieviel Wochen? Wovon die teure Miete für das Geschäftslokal bezahlen?
Die Mitarbeiter, die von ihren Arbeitgebern mangels Beschäftigungsmöglichkeiten entlassen werden: Wovon soll ich dann diesen Monat die Miete bezahlen? Oder den Einkauf der Lebensmittel. Ich habe die Kinder im Alter unserer KiTa-Kinder vor Augen und die Jugendlichen, wie unsere Konfirmanden: Wie lange hält das die Familie aus: Tage, Wochen, womöglich Monate auf engem Raum?
Und dann die spannende Frage: Wann ist dieser ganze schreckliche Spuk mit dem Virus Covid 19 endlich vorbei? Am 20 April mit Ablauf der Osterferien, oder doch erst später, viel später im Jahr? Das sind einige der bedrückenden Fragen, die uns umtreiben, obwohl draußen das fast sommerliche Wetter unsere Stimmung eigentlich hüpfen lassen möchte.
Es gibt auch noch andere Gründe und Erlebnisse, die unserer Seele aufhelfen und unserem Gemüt: Eine überraschende Mitmenschlichkeit im Umgang miteinander, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und immer wieder auch Humor, der sich der Lage trotzig entgegenstellt. Vielleicht bekommen Sie auch auf einmal Post von Freunden, Verwandten und Bekannten, von denen sie schon lange nichts mehr gehört haben?
Wenn Sie das Internet nutzen oder Whatsapp, dann bekommen Sie lustige Videos etwa zu der gar nicht mehr so lustigen Jagd einiger Zeitgenossen nach dem knappen Gut des Clopapiers. Und gerade für die Senioren, die nicht so bewandert sind mit den sozialen Medien, erlebt das Telefon eine Renaissance. Vielleicht wird es für manche sogar so etwas wie ein Rettungsschirm in der erzwungenen Vereinsamung.
Wir gehen in diesem Jahr, in diesen Wochen bis Ostern tatsächlich durch eine Passionszeit, nämlich unsere eigene. Die Ideengeber für das Motto der Evangelischen Fasten-Aktion 7-Wochen-ohne können es nicht geahnt haben, auf welchen Boden das Thema fällt: Zuversicht – 7-Wochen ohne Pessimismus.
Wie soll das gehen? Fern scheint uns alles, was vertraut war, liebgewonnene Rituale, ehrfürchtig angehörte Geschichten. Am heutigen Palmsonntag, der uns daran erinnert, wie Jesus damals in Jerusalem eingezogen ist. Wo sie ihm zujubelten, um tags drauf zu rufen „Kreuzigt ihn“…
Jesus, ein junger Mann, mit Anfang 30, qualvoll gestorben. Ohne Ahnung von Altenheim, Demenz und todbringender Lungenentzündung? Kennt er das? Kann er sich einfühlen in unsere Situation? Hat er eine Geste überschwenglicher Lieber für uns, die uns aufhilft?
Ich will Ihnen jetzt den Predigttext für heute aus dem Markusevangelium 14,3-9 vorlesen:
Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.
Kommt ihnen das „Wesen dieser Geschichte“ bekannt vor.
Es geht um den Konflikt zwischen Liebe, Fürsorge und Hilfsbereitschaft auf der einen Seite und die Frage nach der Wirtschaftlichkeit auf der anderen Seite. Diese Frau in dieser Geschichte, sie hat ebenso wenig einen bekannten Namen, wie die „Alltagshelden“ dieser Tage, sie tut etwas, das nach den Maßstäben der Wirtschaftlichkeit damals wie heute „unvernünftig“, wenn nicht sogar „verrückt“ ist.
Sie tut es aus Liebe. Und sie wählt ihre Geste, ihre mögliche Form der Zuwendung, der Fürsorge. Und bei dem, was sie tut, fragt sie nicht nach dem Nutzen. Sie schert sich auch nicht um die, die ihr Zuschauen und sich über sie wundern. Ihre Empathie, ihr Mitfühlen mit Jesus setzt sie über den Nutzen und völlig unabhängig von der Bewertung durch andere. Vielleicht hat sie in der Begegnung mit Jesus mit dem Herzen sehen gelernt. Auf jeden Fall will sie dem Todgeweihten etwas mitgeben, was ihr teuer und kostbar ist.
„Verschwenderische Liebe“ eben.
Sie kann doch niemals unverhältnismäßig sein oder Verschwendung?! Gott sein Dank!
Wir erleben Gesten solcher verschwenderischer Liebe durch die Menschen, die sich zur Zeit engagerieren – bei Aktionen wie „Lohmar hilft“, oder die ganz persönlich in ihrem Umfeld solche verschwenderische Liebe üben. Und ich bin stolz auf die politischen Entscheidungsträger in unserem Land, die nach dem Vorbild des Evangeliums den Willen des Volkes umsetzt, in dem sie aus Liebe und Fürsorge, um derer willen, die alt, geschwächt und schutzlos sind, wirtschaftliche Einbrüche in Kauf nimmt.
Dabei versuchen sie nicht den einen zu helfen, und die anderen zu vergessen.
Sie denken auch an die kleinen und mittleren Firmen, die Gastronomie, an die Friseure, die Künstlerin und wer sie alle sind, die durch diese Entscheidung eines weitgehenden „Shutdown“ in Gefahr und Not geraten. Es wird zur Zeit mit Geldbeträgen gehandelt, dass einem normal Sterblichen schwindelig werden mag.
Täuschen wir uns nicht, indem wir denken: Das sei doch selbstverständlich. Es gibt damals nicht wenige Stimmen, die von der Liebe der unbekannten Frau rein gar nicht berührt waren. Es gibt auch in unserer Zeit zynische Zeitgenossen, die nicht nur von vergeblicher Liebesmühe sprechen, sondern mit Kommentaren auffallen wie: „Es sei das Wegsterben der Alten doch das Gesündeste, was einer Population geschehen könne.“
Wie wahr, man sieht nur mit dem Herzen gut!
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Wir erleben uns am Anfang der Karwoche. Wie wird es nun weitergehen, in der Karwoche und dann nach Ostern, dem Fest der Auferstehung von Toten? Werden wir irgendwann auch mal wieder auferstehen aus der Verordneten Zurückhaltung im öffentlichen Leben?
Als Christen können wir gemeinsam beten, jedem in seinem Kämmerlein: Um die rechte Fahrt durch den Nebel, der uns die Sicht nimmt. Um gute Ideen, um Phantasie, wie wir verschwenderische Liebe leben können in unserer Zeit. Hab und Gut zu haben und es in geeigneter Weise mit anderen zu Teilen, ist nicht unbedingt das Wichtigeste, das Wertvollste. Sondern mein Bestes und Kostbarstes zu geben, was ich besitze, das sind meine Hoffnung, meine Dankbarkeit und meine Liebe, die ich zu geben bereit bin. Sie allein vermögen Leid zu verwandeln in Freude, in Zuversicht über den Tod hinaus .
Amen.
Sendungswort
Den Weg des Friedens führe uns der allmächtige und barmherzige Herr. Seine Engel geleiten uns auf unseren Wegen, dass wir uns wohlbehalten Wiedersehen in Friede und Freude.