„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?
Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne!“
Psalm 22
So betete Jesus am Kreuz. Und dann, wenige Augenblicke später, war er bei den Toten. So betete ganz bestimmt auch der eine oder die andere, die hier auf dem Friedhof bei den Toten gebettet liegen, in der letzten Phase ihres Lebens. So beten auch viele Menschen, die an ihrem Kreuz zu tragen haben – mitten im Leben:
An dem Verlust eines lieben Menschen, der ihnen gestorben ist. An dem Verlust der eigenen Gesundheit und die wachsende Erkenntnis, dass ihr Leben begrenzt ist. An der bitteren Erkenntnis, dass sich nicht erfüllt hat in ihrem Leben, was sie sich einst ersehnt und vielfach von Gott erbeten haben. Und wenn Menschen von der Not und Verzweiflung anderer Menschen ahnen oder wissen und es im Gebet vor Gott bringen:
Warum ist das Kind nur verschwunden, seit Tagen schon? Warum ist der Kollege mit dem Motorrad verunglückt und liegt nun im Koma? Warum sieht keiner die Not der Menschen, die in den Flüchtlingslagern der Welt ausharren? Warum überfällt dieses Virus unseren ganzen Erdtrabanten und so viele Menschen sterben? Warum all das Leid, die Schmerzen, das Geschrei, der Tod in dieser Welt?
Gott ist bei den Toten! Der menschgewordene Gott in Jesus aus Nazareth hat sich den Tod nicht erspart. Er hat sich ihm hingehalten, schon lange vor seinem Tod am Kreuz. Die Schwangerschaft der Mutter Maria hätte mit einer Todgeburt enden können. Die Aussätzigen der Gesellschaft, die Kranken und Leidenden, denen er sich unerschrocken genähert hatte, hätten ihn anstecken können.
Einige derer, die sich über seine vermeintliche Gotteslästerung erbost hatten, hätten ihn steinigen können. Es gab Gründe und Anlässe genug, dass Menschen sich über diesen Wanderprediger in Galiläa aufgeregt und ihm den Tod gewünscht haben. Von den Römern und dem König Herodes ganz zu schweigen.
Gott hält aus – bis in den Tod.
Ich möchte mit Ihnen ein Gedicht teilen von Dietrich Bonhoeffer, der vor 75 Jahren von den Nazis zu Tode gebracht wurde. Möge es uns am „Karfreitag unseres Lebens“ Hoffnung schenken.
Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,
flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot
um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod.
So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.
Menschen gehen zu Gott in Seiner Not,
finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,
sehen ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.
Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.
Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not,
sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot,
stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod,
und vergibt ihnen beiden.
Quelle: Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 515
Ihr Jochen Schulze, Pfarrer in Lohmar